Online-TrackingEU-Staaten könnten ePrivacy-Verordnung abwracken

Der Rat der EU-Staaten stimmte gegen einen Kompromissvorschlag für die ePrivacy-Verordnung. Auch fast drei Jahre nach dem ersten Vorschlag ist ein Beschluss des Gesetzes zum Schutz der digitalen Kommunikation nicht in Sicht.

Schiff vor dem Abwracken
Bereit zur Demontage: Die EU-Staaten zerlegten die ePrivacy-Verordnung CC-BY 2.0 Thomas

Die EU-Staaten scheiterten erneut an einer Einigung über ein Gesetz für stärkeren Schutz der digitalen Kommunikation. Ein Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft fiel am Freitag bei den Vertretern der Staaten im Rat durch – und das, obwohl der Entwurf auf Druck zahlreicher Staaten bereits deutlich abgeschwächt war. Der ePrivacy-Reform droht bei anhaltender Blockade ein stiller Tod in den Gremien.

Die Europäische Union berät seit Januar 2017 über die ePrivacy-Verordnung. Sie soll das Werk der Datenschutzgrundverordnung vollenden und die Vertraulichkeit und den Schutz der Privatsphäre bei der digitalen Kommunikation garantieren. Das EU-Parlament stärkte im Herbst 2017 den Gesetzesvorschlag der Kommission. Seither herrscht Stillstand. Alles wartet darauf, dass sich die Mitgliedstaaten im Rat auf eine Verhandlungsposition einigen.

Dazu kam es erstmal nicht. Am Schluss stimmte eine Mehrheit an Staaten gegen den Vorschlag der Finnen, darunter auch Deutschland. Die Gegenstimmen teilten sich dabei in zwei Lager – einige Staaten wünschten sich stärkeren Schutz für Vertraulichkeit in der Online-Kommunikation, anderen ging selbst der abgeschwächte Vorschlag der Finnen noch zu weit.

Die finnische Präsidentschaft reicht die Vorschläge nun an Kroatien weiter, das mit 1. Januar 2020 die Ratspräsidentschaft übernimmt und dann den Vorsitz in den meisten Arbeitsgruppen des Rates führt. Insider erwarten wenig Bewegung unter den Kroaten. Im Juli übernimmt dann turnusgemäß Deutschland das Ruder.

Neue Regeln für WhatsApp und Co.

Die ePrivacy-Verordnung soll eine mehr als 15 Jahre alte Richtlinie mit dem gleichen Namen modernisieren. Weil Kommunikationsdaten besonders sensibel sind, soll sie einige Klarstellungen und Verschärfungen im Vergleich zur Datenschutzgrundverordnung etablieren.

Kommission und Parlament schlagen vor, den Schutz der Privatsphäre als Standard im Browser festzulegen. Das soll dabei helfen, den Datenabfluss durch Cookies und andere Formen des Trackings auf Webseiten einzuschränken.

Der strenge Datenschutz, der in der EU heute für Telefon, SMS und Fax gilt, soll zudem auf Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram, Webmaildienste wie GMX oder GMail und Internettelefonie wie Skype ausgeweitet werden. Auch sie dürften ihre Nutzer:innen nur dann analysieren, wenn es ein klares Einverständnis gibt. (Hier ein Überblick über Kernpunkte.)

Doch das Gesetz hat viele Feinde: Ein ungewöhnliches Bündnis aus US-Internetkonzernen wie Google oder Facebook und deutschen Medienunternehmen wie RTL oder Springer lobbyiert gegen die Vorschläge. Denn wenn Nutzer:innen selbst entscheiden könnten, ob sie das Tracking ihres Surfverhaltens zulassen, könnte das ihr Geschäft mit personalisierter Online-Werbung empfindlich treffen.

Auch die Telekommunikationsfirmen, in Europa oft ehemalige Staatsfirmen mit gutem Draht zur Regierung, sind gegen das Gesetz. Anstatt dass die EU ihre Wettbewerber wie WhatsApp oder Skype strenger reguliert, wollen sie, dass die Regeln für sie selbst gelockert werden. Sie hoffen, aus Mobilfunk- und Bewegungsdaten ihrer Kunden ein neues Milliardengeschäft nach dem Modell des Überwachungskapitalismus zu machen.

Schlüsselrolle für EU-Digitalchef Breton

Eine Schlüsselrolle dürfte nun Thierry Breton spielen. Der frühere Chef von France Télécom ist künftig der führende Digitalpolitiker in der neuen EU-Kommission, die am Mittwoch das grüne Licht des EU-Parlaments erhalten soll.

Breton ist dann als Binnenmarktkommissar für die ePrivacy-Verordnung zuständig. Er kann die EU-Staaten zu einem neuen Kompromiss anspornen, den derzeitigen Entwurf der Verordnung aber auch komplett zurückziehen. Insider halten das für denkbar, wenn sich auch im vierten Jahr nach dem ursprünglichen Vorschlag keine Einigung abzeichnet.

„Wir hoffen, dass die Europäische Kommission sich auf die Seite der Bürger:innen stellt, indem sie den Vorschlag verteidigt und den Rat bald im Jahr 2020 um einen starken neuen Entwurf bittet“, sagte Diego Naranjo von der NGO European Digital Rights.

Die jetzige Ablehnung der Reform dürfe nicht als Signal gewertet werden, dass die Reform nicht geschehen werde, betont Estelle Massé von der Digital-NGO Access Now. „Stattdessen sollten die Staaten zurück an den Verhandlungstisch und das liefern, was sie den EU-Bürger:innen versprochen haben: stärkeren Schutz der Privatsphäre.“

Die finnische Ratspräsidentschaft zeigt sich optimistisch, mit ihrem gescheiterten Anlauf das Gesetz nicht gänzlich begraben zu haben. Mitgliedsstaaten hätten sich fast einstimmig für die Weiterarbeit auf Basis des finnischen Vorschlags ausgesprochen, schrieb die finnische Diplomatin Kristiina Pietikäinen auf Twitter.

Doch hinter vorgehaltener Hand fürchten einige Stimmen, dass eine kleine Gruppe von Staaten auch weiterhin jeglichen Fortschritt blockieren könnte. Die EU-Staaten würden damit eine Chance verpassen, das große Datensammeln im Internet einzuschränken.

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